Als Kind bin ich mit meiner Oma jede Woche zum Bauern geradelt, um Milch zu holen. Heute kann ich durch das Industriegebiet und die vielen neuen Erschließungsstraßen unsere damalige Strecke auf Feldwegen nicht mehr nachvollziehen. Auf einem brachliegenden Gelände bin ich mit meiner Freundin auf Kirschbäume geklettert und wir haben auf dem verwilderten Grundstück verstecken gespielt. Heute ist dort ein ganzes Wohngebiet entstanden. Habe ich aus dem Fenster geschaut, konnte ich über Felder bis ins Ried schauen. Heute schaue ich auf ein großes Fachmarktzentrum. Vom Rentenalter bin ich weit entfernt. Trotzdem erkenne ich oft „Früher sah es hier ganz anders aus“.
Kreative Begriffe statt Lösungen
Klar ist, dass aufgrund der Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung auch zukünftig weitere Flächen verbraucht werden. Doch der immer schnellere Flächenverbrauch muss dringend begrenzt werden. Das hat mittlerweile auch die Politik erkannt.
Worte wie „Flächenkreislaufwirtschaft“ und „Netto-Null-Flächenverbrauch“ werden kreiert und in zentimeterdicken Papierbergen festgeschrieben. Wo versiegelt wird, soll an anderer Stelle entsiegelt werden, damit das Verhältnis von bebauter zu unbebauter Fläche im Gleichgewicht bleibt. Klingt gut. Klingt aber auch sehr theoretisch und weit weg von der Haustür.
Erschreckende Luftbilder – früher und heute
Doch wie stark ist die Flächenveränderung bei uns in der Region wirklich? Biodiv Hero Florian Schumacher startete dazu ein Projekt. Er hat alte Bilder und Postkarten herausgesucht und anschließend mit Hilfe einer Drohne versucht, aktuelle Luftbildaufnahmen aus identischer Position zu machen.
Der anschließende Vorher-Nachher-Vergleich der Bilder war noch ernüchternder und erschreckender als erwartet. Ohne verschiedene Referenzpunkte wäre oft nicht mal erkennbar gewesen, dass es derselbe Ort ist.
Was passiert durch den Flächenverbrauch?
Nicht nur immer neue Wohngebiete, Industriegelände oder Logistikhallen versiegeln Fläche. Es werden ständig weitere Lebensmittelmärkte oder Fachmarktzentren gebaut. Alle brauchen natürlich auch ausreichend und flächenverbrauchend Parkplätze und Zufahrtsstraßen.
Durch diese Bebauungen geht ständig weiter wertvoller Ackerboden verloren, den wir für den Anbau von Lebensmittel und damit unsere Ernährung brauchen. Dringend erforderliche Frischluftschneisen zwischen den Häusern in den Orten werden verbaut. Kühlende Schattenplätze fehlen. Denn oft steht den Neubauten alter Baumbestand im Weg. Und wann habt ihr die letzte größere Wildblumenwiese gesehen?
Auf Asphalt und Pflaster gibt es kein Leben
Nicht nur wir Menschen merken diese negativen Veränderungen. Viele Tierarten finden keinen Platz mehr zum Brüten, Nisten und Fressen – zum Leben. Denn das können sie auf Asphalt und Pflaster nicht. Habt ihr bemerkt, dass die Autoscheibe oder das Helmvisier nach langen Fahrten nicht mehr wie früher von zahlreichen Insekten verschmiert ist? Das liegt daran, dass Hunderte von Insektenarten ausgestorben sind, weil sie durch flächendeckende Bebauung keine Lebensgrundlage mehr fanden.
Die Resolution zählt Lösungsschritte auf
Nach der Ernüchterung kam die Motivation. Zahlreiche Lösungsansätze, die den Flächenfraß begrenzen, wurden erarbeitet und zusammengetragen. Das Ergebnis ist die Resolution „Flächenverbrauch tatsächlich begrenzen“. In ihr sind zahlreiche Maßnahmen und Beispiele genannt, die auf übergeordneter Ebene, aber auch auf Kreis- und Gemeindeebene und damit daheim vor unserer Haustür, umgesetzt werden können – nein, müssen. Diese Resolution wurde in der virtuellen 2. Biodiversitätskonferenz im Januar 2021 mit großer Mehrheit der 150 Teilnehmer unterstützt und verabschiedet.
Jetzt auch tatsächlich umsetzen
Eines der wichtigsten Worte der gesamten Resolution ist „tatsächlich“. Unterzeichnete Absichtserklärungen, gesetzliche Regelungen und Vorgaben gibt es viele. Täglich lesen wir davon. Viele sind bisher jedoch reine Absichtserklärungen.
Damit beginnt die Mammutaufgabe, die die Biodiv Heroes angehen: Die politischen Gremien im Kreis Bergstraße davon überzeugen, dass die Resolution „Flächenverbrauch tatsächlich begrenzen“ nicht nur ein weiteres Papier ist, mit weiteren ambitionierten Zielen, das wohlwollend abgenickt, getackert, gelocht und zu den Akten gelegt werden kann.
Wie bei kleinen Kindern
Kindern muss immer wieder gebetsmühlenartig erklärt werden, dass dieses und jenes „aua“ ist. Dass nicht jeder eigene Willen durchgesetzt werden kann. Und dass manche Themen einfach als Basiswissen gelernt werden müssen, auch wenn sie auf den ersten Blick langweilig und ermüdend sind.
Nichts anderes ist die Aufgabe, die entscheidenden Gremien auf den kommunalen Ebenen zu überzeugen, sich mit den Resolutionsinhalten zu beschäftigen. Und vor allem, diese bei künftigen Entscheidungen auch „tatsächlich“ zu berücksichtigen.
Endlich anfangen
Das Minimalziel für jede Stadt oder Gemeinde ist, im ersten Schritt mindestens 3 der insgesamt 18 Beispiele umzusetzen. Klingt wenig und einfach? Ist es nicht. Für jeden einzelnen Schritt ist sofortiges Umdenken erforderlich, es muss sich von anderen Mustern verabschiedet werden.
In den Köpfen und in den Planungen.